Bauwelt

Städtebau im Nationalsozialismus

Angriff, Triumph, Terror im europäischen Kontext 1933–1945

Text: Weckherlin, Gernot, Berlin

Städtebau im Nationalsozialismus

Angriff, Triumph, Terror im europäischen Kontext 1933–1945

Text: Weckherlin, Gernot, Berlin

Der Platz im Bücherregal zur NS-Bau- und Planungsgeschichte wird langsam eng. Deswegen darf man fast erleichtert sein, dass das hier vorgestellte Buch als das letzte einer Reihe von insgesamt fünf Untersuchungen zum Städtebau der Diktaturen Europas in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts angekündigt wurde. Das noch voluminösere, 2023 von einer Unabhängigen Historikerkommission herausgegebene Planen und Bauen im Nationalsozialismus (4 Bände, 1300 Seiten) zählt ja ebenfalls in die Reihe von opulenten wissenschaftlichen Veröffentlichungen zum Thema (Bauwelt 25.2023). Gerade deswegen liegt die Frage nahe: Welche neuen Erkenntnisse vermitteln die nun vorliegenden 624 Seiten?
Zunächst: Die Herausgeberinnen und Herausgeber haben in dem Buch bewusst auf die Nennung ihrer je eigenen Autorenschaft im Buch verzichtet und verstehen das Buch als eine Monografie über den NS-Städtebau im Kontext anderer europäischer Diktaturen in der ersten Jahrhunderthälfte; jedoch, ganz neu ist diese vergleichende Perspektive nicht. Wichtige Beiträge dazu lieferten sie zum Teil selbst in Zusammenarbeit mit verschiedenen Autorinnen und Autoren zuvor schon in den Untersuchungen zum Städtebau in Spanien (Bauwelt 24.2021), Portugal (Bauwelt 20.2021) und Italien (Bauwelt 12.2012) sowie in einem Band zur Altstadterneuerung als Erbe europäischer Diktaturen (Bauwelt 10.2022). Noch weiter zurück liegt die Veröffentlichung vonChristiane Post und Harald Bodenschatz zum Städtebau Stalins (Bauwelt 38.2003).
Der NS-Städtebau wird vom Herausgeberteam verstanden als ein Instrument der Mobilisierung der Bevölkerung, der Ernährungssicherung, der Beeinflussung des Bildungswesens, der Bekämpfung der Wohnungsnot, der Arbeitslosigkeit sowie der Kriegsvorbereitung, kurz – als ein Instrument der Herrschaftslegitimierung und -sicherung. Städtebau war Machtdemonstration ebenso wie wirksames Propagandainstrument. Allerdings ist die Wahrnehmung des NS-Städtebaus bis heute stark auf jene propagandistisch besonders einprägsam vermittelten Monumental- und Staatsbauten verengt. Wohingegen der Faktor, dass die NS-Diktatur mit anderen europäischen demokratischen oder diktatorisch regierten Staaten auf dieser Ebene auch in Konkurrenz stand, bis jetzt weniger stark beleuchtet ist. Deswegen ist es für das Buch auch zentral, dass hier nun von einer weiteren Begriffsdefinition ausgegangen wird: Städtebau umfasst eben nicht nur die Produkte, also städtebauliche Ensembles, Regionen, Dörfer, oder auch Industrieanlagen, Infrastrukturen, Militärstandorte, Autobahnen und Lager. Es geht eben nicht nur um deren realisierte Formen, sondern auch um die Prozesse, die in der Organisation von städtebaulichen Projekten, Wettbewerben, ja der Entwurfsarbeit selbst aufscheinen. Nicht zuletzt nimmt die Untersuchung die jeweiligen Produk-tionsverhältnisse der Stadt in den Blick, also die Formen der Organisation, beispielsweise die Rollen und die Strukturen von politischen Parteien, des Staats, der Kommunen, der privaten oder öffentlichen Grundeigentümern, aber auch die Formationen von „Fachwelt“, wie sie etwa über die Fachzeitschriften transportiert wurde. Erst in dieser vergleichenden Analyse der drei Parameter Produkt, Produktionsbedingungen und -verhältnisse wird die Funktion des Städtebaus als wirksame „Herrschaftsform“ besonders deutlich, hierin liegt nun auch der besondere Erkenntniswert des Buches.
Die gewählten Parameter lenken den Blick also nicht nur auf die bekannten pompösen Bauten und -projekte in den sogenannten Führer- oder Gauhauptstädten, sondern auf das gesamte Spektrum städtebaulicher Aktivitäten im NS-Staat samt Landschaftsbezug und bisweilen neoabsolutistischen Gesten.
Städtebau ist auch in einer Diktatur keinesfallsvon einzelnen Personen alleine wie etwa von Hitlers oft behaupteter, führender Rolle als dilettierender Architekt zu begreifen. Gerade deswegen lohnt sich die Lektüre dieser im Buch durchgängig sorgfältig ausgearbeiteten Wirkungszusammenhänge der Prozesse, Konkurrenzen und Abhängigkeitsverhältnisse im Stadtbau.
Die Periodisierung folgt – im Untertitel angedeutet – drei Phasen: beginnend 1933 mit der Gleichschaltung von Organisationen im Städtebau als einem Nebeneinander unterschiedlicher Programme, mit dem Ziel der Stabilisierung des Regimes durch Massenmobilisierung und Repression. Die zweite Phase wird 1937 von den hypertrophen, monumentalen Planungskonzepten in Folge des „Gesetzes über die Neugestaltung deutscher Städte“ eingeleitet, obwohl die gebaute Realität vor allem von der Aufrüstung und der Herstellung von Kriegstüchtigkeit gekennzeichnet war. Diese endet mit einer letzten Phase des Terrors, die mit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 begann und in Territo-rialplanungen das Ziel der „Eindeutschung“ eroberter Ostgebiete mit den Mitteln millionenfacher Internierung und Vernichtung von Menschen verfolgte. Dass diese Phase weniger stark in Bildern und Worten dokumentiert ist, sondern oft in Zahlen und Statistiken erscheint, war kein Indiz dafür, dass es sich dabei nicht um städtebauliche Aktivitäten gehandelt hätte – eine Erkenntnis, die wir bereits seit der Veröffentlichung von 2023 haben.
Das neue Buch ist opulent bebildert, es scheint inzwischen fast ein editorischer Überbietungswettbewerb in der Darstellung von Propaganda-broschüren, Postkarten, Briefmarken und Plandokumenten im Gang zu ein. Muss jedes Reichsarbeitsdienstlager-Barackennormblatt ganzseitig und in Farbe veröffentlicht werden, um die Zusammenhänge zu erklären? Die Lektüre des Buches lohnt, keine Frage, nur ein Versprechen bleibt nahezu uneingelöst: Der Ausblick auf eine inzwischen achtzig Jahre währende Auseinandersetzung, oder besser gesagt zumeist Nicht-Auseinandersetzung mit dem materiellen und immateriellen Erbe des NS-Städtebaus im europäischen Kontext. Hier beklagen die Herausgeber die je „nationalen“ Sichtweisen und die von diesen eingehegten „Denk- und Erinnerungsräume“. Wie die nur angedeuteten Veränderungen der nationalen Erinnerungskulturen Europas hin zu einer multiperspektivischen Sichtweise überwunden werden könnte, das bleibt gerade etwa im Blick auf das Russland der Gegenwart offen. Um den Austausch über diese Frage zu befördern ist es immerhin hilfreich, dass das Buch auch in Englisch veröffentlicht wurde.
Fakten
Autor / Herausgeber Harald Bodenschatz, Victoria Grau, Christiane Post, Max Welch Guerra (Hg.)
Verlag DOM Publishers, Berlin 2025
aus Bauwelt 13.2025
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